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Olga Neuwirth & Roberto Paci Dalò
Italia Anno Zero
Es sind die Trümmer der Gegenwart, aus denen Italia Anno Zero geboren
wird – wie in einem Rossellini-Film.
Italia Anno Zero ist ein Projekt von Olga Neuwirth (Komponistin, Performerin)
und Roberto Paci Dalò (Komponist, Performer, Regisseur) und basiert
auf Erkundungen in Texten von Antonio Gramsci (1891–1937), Giacomo
Leopardi (1798–1837) und Pier Paolo Pasolini (1922–1975).
Das gesamte Stück kreist um eine These, der zufolge Italien nicht
nur ein postfaschistisches Land ist – worüber sich alle einig
sind –, sondern auch und vor allem ein präfaschistisches Land,
als dessen DNA sich erweist, was gemeinhin «Faschismus» genannt
wird: Ein Phänomen, das – evoziert bereits in den Texten Leopardis
– in allen Schichten der italienischen Gesellschaft präsent
ist, und zwar seit einer Zeit, die noch vor die Gründung des Italienischen
Staates im 19. Jahrhundert zurück reicht. Zur Untermauerung dieser
These wurde Bildmaterial aus Italiens Gegenwart herangezogen, das Anleihen
an der Ikonographie des Faschismus nimmt: Büsten, Kaffeetassen, Fahnen,
Knüppel, Abzeichen, Weinflaschen, die faschistische und nationalsozialistische
Konterfeis zeigen und die bis heute in zahlreichen Tankstellen und auf
den Strassen des «Belpaese» käuflich zu erwerben sind.
Was in anderen Ländern Europas undenkbar wäre – der öffentlich
tolerierte Handel mit faschistischen Merchandising-Produkten aller Art
– ist in Italien gang und gäbe. Dies dient der Lächerlichmachung
eines tiefgreifenden Übels in der italienischen Gesellschaft und
zeigt die Ignoranz eines Landes, das sich selbst gerne als fröhlich,
lebensbejahend und vorbildlich darstellt.
Gramsci, Leopardi und Pasolini lebten am Rande dieser Gesellschaft und
analysierten, ohne selbst Macht auszuüben, die sozialen und politischen
Strukturen ihrer jeweiligen Zeit – Analysen, die für unsere
Gegenwart noch immer zutreffend sind.
Auf Basis dieser Analysen wurden die dichten musikalischen Strukturen
von Italia Anno Zero geschaffen. Zu den beiden Komponisten-Performern
(Theremin, Klarinetten, Sampler und Elektronik) gesellen sich drei weitere
Musiker: Burkhard Stangl (E-Gitarre und Elektronik), Donna Molinari (Klarinetten)
und Ernesto Molinari (Klarinetten). Gemeinsam bilden sie ein fünfköpfiges
Kollektiv, das Wort, Ton und Bild zu einem «staged concert»
verbindet.
Die Partitur von Olga Neuwirth und Roberto Paci Dalò berücksichtigt
alle Parameter des Projekts und enthält Anweisungen zu Filmprojektion,
Sound, Text und Musik. Der Einsatz spezieller Software zur Bildbearbeitung
in Echtzeit ermöglicht, dass die visuelle Ebene dieselbe Dynamik
erreichen wie alle anderen zum Einsatz kommenden Elemente. Unter den Samples,
die bei Italia Anno Zero zum Einsatz kommen, findet sich auch Mussolinis
Stimme, die, in akustische Fragmente zerstückelt, nicht mehr im Wortsinne
verständlich, aber als Klang dennoch unmittelbar wirksam ist. Live-Stimmen
kommen nicht zum Einsatz; sämtliche Sprechstimmen sind Teil des Films.
Die Videoprojektionen schaffen darüber hinaus einen konkreten Bühnenraum,
von dem die Aufführenden buchstäblich umgeben sind. Auf der
Bühne stehen nur wenige einfache Elemente: Tische und Stühle,
die so angeordnet sind, dass sie gemeinsam mit den Projektionen die Originalschauplätze
der Textautoren evozieren: offene Räume (entsprechend der Region
Marche in Mittelitalien – Leopardi), geschlossene Räume (entsprechend
einer Gefängniszelle – Gramsci) und Städte wie etwa Rom
(Pasolini). Das gesamte Filmmaterial wird in Schwarz-Weiß gezeigt
und wurde zumeist in Rom aufgenommen.
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